Leichenblässe

David Hunter macht einen Abstecher in die USA und trifft auf ... Maden, was sonst?

David Hunter ist wieder da. Er hat den Mordversuch vom letzten Band Kalte Asche also überlebt - Simon Beckett hat sich ja ein Ende erlaubt, das offen ließ, ob der Held den Messerstich der weiblichen Gegenspielerin überleben würde - aber wer hat sich schon ernsthaft Sorgen gemacht. Simon Beckett kommt gewiss nicht auf die Idee, seinen weltweit so erfolgreichen forensischen Anthropologen (»Forensische Anthropologen haben vor allem mit [...] stark verwesten oder vollständig skelettierten Leichen [zu tun]«, Wikipedia) den literarischen Tod sterben zu lassen.

Nun kommt er also zum dritten Mal zum Einsatz. Ohnehin grundausgestattet mit einem Trauma (vor Beginn des ersten Buchs sterben Frau und Kind, was ihn vorübergehend zur Aufgabe seines Berufs als Verbrechensaufklärer bewegt) hat der arme Mann nun zusätzlich mit dem Verlust seiner Freundin, den physischen Schmerzen der Stichwunde und einem sehr präsenten Verfolgungswahn (die Antagonistin, die den Mordversuch ausführte, ist noch auf freiem Fuß) zu kämpfen. Wenn man bedenkt, dass David Hunter berufsbedingt stets knietief in Maden und abgetrennten Extremitäten steht, wären das mittlerweile genug Gründe, sich in eine Anstalt einweisen zu lassen.

David Hunter wählt einen anderen Weg: er »flieht« in die USA zu seiner einstigen Ausbildungsstätte, der Body Farm an der University of Tennessee. Natürlich findet er auch dort keine Ruhe. Sein einstiger Lehrer und Freund Tom Liebermann konsultiert ihn für einen Mord in der Region. Es handelt sich naturgemäß nicht um einen herkömmlichen Fall: nichts scheint an Zustand und Umfeld der Leiche des Mannes, aus dem die Maden »wie übergekochte Milch« herausströmen, normal zu sein. Dann verschwindet der ermittelnde Profiler, Tom Liebermanns Gesundheitszustand verschlechtert sich zunehmend und überall nimmt Hunter die Duftnote der Frau wahr, die ihm nach dem Leben trachtet.

Wer die Reihe nicht kennt und wissen möchte was ihn erwartet, braucht im Buchhandel eigentlich nur eine beliebige Seite aufzuschlagen: die Wahrscheinlichkeit, auf Worte wie Leiche, Made oder bestalischer Gestank zu treffen, ist sehr hoch. Bereits auf den ersten Seiten stehe ich als Leser mitten auf der Body Farm zwischen Leichen in unterschiedlichen Verwesungsstadien und erfahre die rührende Geschichte eines verstorbenen Zahnarztes: »Er war nackt und lag auf einem niedrigen Holzgestell über dem Teppich aus Rispengras und Laub. Er befand sich seit über einer Woche dort, sodass sich das Fleisch bereits aufgelöst hatte und man unter der mumifizierten Haut Knochen und Knorpel erkennen konnte. Ein paar Haarbüschel hingen noch am Schädel, aus dem leere Augenhöhlen in den klaren blauen Himmel starrten.«

Das dient nur zum Warmwerden.

Simon Becketts bewährtes Rezept (banaler Schreibstil gewürzt mit sachlich detaillierten Verwesungsdetails) geht auch im dritten Band auf. Und - man muss sich ja steigern - er schafft Superlative: dutzende Tote, ungezählte Maden und ein Held, der nicht weit vom Wahnsinn entfernt ist.

Trotzdem habe ich das Buch lange nicht so schnell und gerne gelesen wie seine beiden Vorgänger: zum ersten Mal habe ich mich am stellenweise sehr platten Stil gestört, an klischeehaften Figuren, an den »unerwarteten« aber vor allem unglaubwürdigen Wendungen. Am Ende hat sich Beckett wieder heillos übernommen. Und wenn ich die Augen schloss, habe ich irgendwann nur noch überkochende Maden gesehen.

Leichenblässe
Veröffentlicht:
Medium:
Buch
Autor:
Simon Beckett
Verlag:
Wunderlich
Kommentar:
Diesmal ist mir wirklich schlecht geworden.
ISBN:
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Gemacht mit

corazon

von Lene Saile