Das karmesinrote Blütenblatt

Schillerndes Leben einer Prostituierten in London 1874

Wenn Michael Faber mich als Leser an seine Hand nimmt, fühle ich mich ähnlich wie Ebeneza Scrooge mit seinen drei Weihnachtsgeistern. Unsichtbar und geräuschlos folge ich meinem Erzähler durch das London des Jahres 1874, stets der interessantesten Person hinterher – wer oder was von Wichtigkeit ist, bestimmt natürlich mein Stadt-Führer und weist mich stets zurecht, wenn ich mal wieder der »falschen Hure hinterhergaffe« oder »unverwandt auf den Schoß« des Hauptprotagonisten William Rackham »starre«.

Pass auf, wo du hintrittst! Du musst einen klaren Kopf behalten, wirst ihn noch brauchen. Die Stadt, in die ich dich bringe, ist riesengroß und labyrinthisch, und du bist hier noch nie gewesen …

So führt uns die Hure Caroline direkt zu Sugar, von Beruf ebenfalls Prostituierte, sowohl intellektuell als auch gebildet. Den Männern gefällt das – Sugar ist begehrt. Dieser gute Ruf erreicht auch den Erben eines Parfümimperiums, William Rackham. Bald schon ist er ihr restlos verfallen und will sie ganz für sich haben. So steigt Sugar, als Rackham zu einem der erfolgreichsten Unternehmer der Stadt wird, mit ihm auf. Doch sie erträgt die »Fesseln des bürgerlichen Lebens« nicht lange …

Ein anspruchsvoller Roman, nicht nur wegen seines langsamen Voranschreitens. Wer einen erotischen Roman erwartet, wird enttäuscht: Bei den wenigen Sexszenen handelt es sich um wortkarge, distanzierte Beschreibungen.

Michael Faber als den »neuen Charles Dickens« zu rühmen, wie es vielfach geschehen ist, erscheint mir unangebracht. Als hätte er es geahnt, gelingt Faber ein frecher Seitenhieb auf Seite 134 im Gespäch zweier Huren:

– »Bei mir warn schon die ganz großen Namen.

Charles Dickens war schon bei mir.«

– »Is der nich tot?«

– »Nich der Teil, an dem ich gelutscht hab, Herzchen.«

Das karmesinrote Blütenblatt
Veröffentlicht:
Autor:
Michel Faber
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Kommentar:
Ab ins 19. Jahrhundert!
ISBN:
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Gemacht mit

corazon

von Lene Saile