América

Ich höre am liebsten abends im Bett vor dem Einschlafen ein bisschen Hörbuch. Eine Angewohnheit aus der Kindheit, damals waren es noch Hörspielkassetten. Benjamin Blümchens und Biene Majas harmlos-harmonisch dahinplätscherndes Tagesgeschehen eignen sich auch wunderbar zum langsamen Wegschlummern.

Dies gilt für das Hörbuch »América« allerdings nicht. Mit geschlossenen Lidern und dahinter weit offenen Augen lag ich da und lauschte Boris Aljinovic, der T.C. Boyles Gesellschaftssatire ruhig und zurückhaltend liest.

Beklemmend und mitreißend war es mit anzuhören, wie der Mexikaner Cándido mit seiner schwangeren Frau América (die spanische Schreibweise des Kontinents!) illegal und ausgestoßen und ein menschenunwürdiges Dasein fristend neben der gutbürgerlichen und vornehmlich weißen Wohngegend exisitiert. Deren latenter Rassismus wird von Protagonist Delaney verkörpert, welcher in der ersten Szene mit seiner Motorhaube frontal auf Cándido trifft und den Schwerverletzten mit 20 Dollar abspeist.

Während die einen ums pure Überleben kämpfen, sieht Delaney seine heile Vorstadt-Welt zusammenbröckeln. Mit einem Mal wird eine hohe Mauer um die Siedlung gebaut, die ihm den Weg zu den geliebten Spaziergängen abschneidet - und die nicht einmal dazu taugt, die hungrigen Koyoten abzuhalten. Seine beiden Hunde liegen bereits skelletiert in den Canyons. Grund und zugleich ausführende Kräfte des Mauerbaus sind die ungeliebten Mexikaner, die als billige, anspruchslose Arbeiter dringend benötigt werden und sich somit vermehrt in den Canyons ausbreiten. Delaney ahnt, dass dies Konsequenzen haben wird.

Und tatsächlich brennt es eines Tages. Während Cándido die Gelegenheit nutzt und für seine Frau und das blinde Neugeborene (América wurde vergewaltigt während er arbeitete) ein Wellblech und einen Hundenapf klaut, lädt Delaney seine Waffe und sucht nach ihm ...

Wer T.C. Boyle als sarkastisch-komischen Autor schätzt, wird an diesem Buch nicht viel zu lachen haben. Zu bedrückend und traurig schildert er die Verhältnisse, zu brutal stößt er den Leser (oder Hörer) auf Ignoranz und Selbstsucht in unserer Gesellschaft. Aber das alles brilliant formuliert."